Höflichkeitsformen und Anrede, Schweiz und Kolumbien – die Unterschiede sind riesig. Erfahren Sie, was gilt und wie Sie die Herausforderungen in der deutschen Sprache meistern.
Stellen Sie sich vor, die Verkäuferin in der Bäckerei fragt Sie: «Was möchtest du, mein König?» Oder der Kioskverkäufer so: «Das macht dann vier Franken fünfzig, meine Schöne.» Wie gut kommt das bei Ihnen an?
Kolumbien lebt sprachliche Nähe
Was in der Schweiz zu Empörung oder zum Austausch von Telefonnummern führt, ist in Kolumbien normal. In der Kaffeezone duzen sich Frauen rasch. Männer und Frauen duzen sich eher als Männer untereinander. Unter Freunden und innerhalb der Familie siezt man sich, kann einander aber auch duzen. Wie das genau funktioniert, weiss niemand so genau.
«Mi amor», sagt der Mann mit den Ananas
Zur komplexen Verwendung der Höflichkeitsform kommt eine Vielfalt an Kosenamen hinzu, die auch zwischen Fremden zum Einsatz kommen: amor (für beide Geschlechter), mi vida linda («mein schönes Leben»), mi rei/reina («mein König», «meine König»), mami oder papi (Letzteres sagt z.B. eine Mutter zum Sohn), hermano («Bruder», auch für Nichtverwandte), mono («Blondi», eigentlich Affe), gordita («Dickerchen», unabhängig vom Leibesumfang), viejito («Alterchen», auch für Jüngere geeignet), niño/niña («Kind», passt auch jenseits der 40 noch gut) und viele mehr.
In der Schweiz macht sich das Schätzli rar
Wie sieht das in der Deutschschweiz aus? Es gilt die Faustregel: Negativen Gefühlen wird öffentlich Ausdruck verliehen, positive Emotionen sind eher Privatsache. Während Verkehrsteilnehmer oder Online-Kommentierende gerne und häufig unschöne Namen verteilen, wird mit Kosenamen restriktiv umgegangen. Schätzli, Müsli und Co. gehören in den familiären und partnerschaftlichen Kontext. Unter den Jungen sind Dinge wie «Hey Alter» zu hören, wie nett das gemeint ist, bleibt unklar. Sicher ist: Bei «Dickerchen» hört der Spass auf, und zwar sofort und in jedem Kontext.
Höflichkeitsform auf dem Rückzug
Was die Höflichkeitsform betrifft: Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde gesiezt und nur im engen Kreis geduzt. Tempi passati. Durch den Einfluss des Englischen, Internet, soziale Medien und mehr Menschen mit anderen Muttersprachen wird heute immer mehr geduzt. Im privaten und im beruflichen Kontext macht das freundschaftlichere Du die Dinge oft unkomplizierter.
Duzis, der Sprachturbo
Von Sie auf Du zu wechseln, lohnt sich allein schon, um Zeit zu sparen. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem Mail schreibe:
- «Sehr geehrter Herr Meier, für eine Präsentation vor potentiellen Kunden benötige ich die Marktstatistik vom letzten Jahr. Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diese möglichst bald zukommen lassen, vielen Dank.»
- Oder so: «Lieber Fritz, die Marktstatistik vom letzten Jahr! Schnell! Thanx.»
Denken Sie daran, wenn der nächste Apero im Büro ansteht. Hingehen! Dort ist die «Duzis»-Wahrscheinlichkeit am höchsten. (Auf der Seite dieses Personalvermittlers, sind die Duzisregeln im geschäftlichen Kontext gut zusammengefasst.)
Im Zweifelsfall lieber höflich
Ich bin ein grosser Fan des Duzens, allerdings zwischen Leuten, die sich persönlich kennen. Im schriftlichen Umgang mit Unbekannten, neuen Bekanntschaften oder einem Gemisch zwischen Bekannten und Unbekannten rate ich zur Höflichkeitsform – sei es per E-Mail, Brief oder in einem beliebigen anderen On- oder Offline-Text. Auch hier im Blog: Ich weiss nicht, wer hier mitliest, also begegne ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, mit höflichem Abstand und Respekt. (Und falls wir uns kennen, denk dir doch das Du.)
Höflichkeitsform richtig schreiben und anwenden: Regeln
Die richtige Schreibweise der Sie- und Du-Formulierungen macht oft Probleme. Es gilt dabei genau zu überlegen, worauf sich was bezieht. Hier finden Sie die wichtigsten Schreibweisen rund ums Siezen und Duzen (Details dazu hat der Duden):
- «Sie» und das Possessivpronomen «Ihre» werden in der Höflichkeitsform immer grossgeschrieben.
- Aber: «Haben Sie sich verschluckt?» Das «sich» wird immer klein geschrieben, obwohl es sich auf die Höflichkeitsform bezieht.
- In Briefen und ähnlichen Texten, in denen der Autor oder die Autorin das Publikum direkt anspricht, wurde früher auch Du/Dir/Dein oder Ihr/Euch/Eure gross geschrieben. Das wurde Ende des letzten Jahrtausends abgeschafft – und im neuen Jahrtausend prompt wieder eingeführt. Nun ist beides erlaubt, die Grossschreibung wird empfohlen.
- Wenn Du grossgeschrieben wird, funktioniert die reflexive Variante so: «Hast Du Dich verschluckt?»
Interessant und auch ein bisschen lustig. Frage : wie antwortet man beim Einkaufen an „mi amor“?
Mit einem Lächeln. Das funktioniert in der interkulturellen Kommunikation immer noch am besten. :-)