
Vor unserem Haus kurven und ruckeln täglich Fahrschüler herum. Es sind verschiedene Fahrschulen, die unsere Gegend als prächtiges Übungsgelände eingestuft haben. Und das ist sie auch: wenig Verkehr, wenig Fussgänger und viele verschiedene Arten von Steigungen, an denen es sich in aller Ruhe und ohne beängstigende Schlange dahinter die wichtigste Lektion überhaupt üben lässt: Anfahren am Berg.
Autofahren in Manizales ist nichts für schwache Nerven und Pferdestärken. Die Topographie strapaziert Fahrer und Motor über alle Massen. Und die Mitfahrer erst. Bei meiner allerersten Ankunft erreichte ich mein Hostel schweissgebadet, überzeugt davon, dem Tod nur knapp entronnen zu sein, nachdem der bejahrte Taxifahrer und sein altersschwaches Taxi einen kurzen Moment lang die Steigung fast nicht bewältigt hätten. Mittlerweile weiss ich, das gehört so.
Die vielen Autofahrer und nicht ganz so vielen -fahrerinnen sind mit allen Wassern gewaschen. Und doch: Mein Spanischlehrer Diego berichtete seiner Klasse, wie er die Fahrprüfung in Kolumbien locker geschafft habe und jahrelang gefahren sei, aber in den USA durch die praktische Fahrprüfung flog. Der Grund: weil bei einem Stoppsignal weit und breit nichts zu sehen war, hat er nicht angehalten. Vier Nordamerikaner und ich erbleichen. Rollstopp. Eine der sieben Todsünden.
Was die Verkehrsregeln betrifft, sind Kolumbianer grosszügig. Das machen bereits die kleinen Busse (Busetas) vor, die hier das öffentliche Verkehrsnetz bestreiten. Zur Freude der Ein- und Aussteigewilligen halten sie überall. Autos und Lastwagen machen für sich das gleiche Recht geltend. Motorräder und Mofas, ebenfalls sehr beliebte Verkehrsmittel, fahren im Zickzack durch stehende oder fahrende Autoschlangen. Velofahrer, von denen es tatsächlich einige gibt, fahren mitten auf der Strasse, gerne auch auf der Überholspur nebeneinander. Hab ich Überholspur geschrieben? Gibts nicht. Es wird überholt, wo es Platz hat, geblinkt wird nur, wenn der Fahrer unabsichtlich den Blinker touchiert. Der Sicherheitsgurt kommt hingegen regelmässig zum Einsatz, immer dann, wenn ein Polizist in Sichtweite ist.
Fussgänger haben keinerlei Rechte und tun gut daran, über die Strasse zu rennen. Zebrastreifen sind reine Strassendeko. Wer hofft, dass ein Fahrzeug (Velo, Mofa, Motorrad, Mototaxi, Taxi, Jeep, Buseta, Bus, Chiva, Lastwagen) freiwillig hält, steht für Stunden auf dem gleichen Fleck. Quasi als Rache sind Fussgänger aber auch auf der Strasse heimisch. Als Rollstuhlfahrer, Jongleure, Strassenverkäufer, Kartonsammler mit riesigen Packen auf den Schultern oder waghalsige Rollbrettfahrer.
Irgendwie passen doch alle aufeinander auf, ohne Gehupe, Fluchen oder Fäuste ballen. Vielleicht liegt es an der Musik, die aus jedem Autoradio dröhnt, oder an dem Heiligenbild, das jedes Gefährt ziert. Oder daran, dass keiner komisch kuckt, wenn man zu spät kommt.
Kupplung, Gaspedal, Handbremse lösen und in Deckung gehen. Schon zuckelt der nächste Fahrschüler heran.