
Ende Januar jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 75. Mal. Im Vorfeld versuchte das Auschwitz Museum bis zum Jahrestag auf Twitter (@AuschwitzMuseum) von etwa 450’000 auf 750’000 Follower zu kommen. Dank seiner hervorragenden Arbeit sind es mittlerweile gegen 1.1 Millionen Follower.
1.1 Millionen – bald so viele Menschen, wie in Auschwitz umgebracht wurden.
Der Twitterkanal des Auschwitz Museums ist nichts für schwache Nerven. Täglich werden Bilder, Fotos, Namen, Fakten und Geschichten über die Kinder, Frauen und Männer gepostet, die im Vernichtungslager Auschwitz waren und von denen die allermeisten das Lager nicht überlebten. Etwa eine Million Tote waren jüdischen Glaubens. Die anderen waren Polen, aber auch Sinti und Roma, Kriegsgefangene, Zeugen Jehovas, Homosexuelle etc.
Ein Gesicht ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben, das des damals fünfjährigen Michel Ejzenberg (Twitter-Post des Auschwitz Museums vom 29.1.2020). Michel liebte sein Schäfchen auf Rädern so sehr, dass es mit aufs Foto fürs Familienalbum durfte.
Der Bub wurde am 29. Januar 1936 in Paris geboren. Seine Eltern Szmul und Toba waren vor dem Krieg mit zwei älteren Geschwistern Hanna und Paulette (1942 waren diese 13 und 19 Jahre alt) von Polen nach Frankreich gekommen (Informationen von Yad Vashem).
Frankreich blieb nicht lange ein sicherer Ort. Michel wurde am 16. Juli 1942 in Paris festgenommen – bei der brutalen Razzia der französischen Polizei am 16. und 17. Juli wurden über 13’000 Jüdinnen und Juden verhaftet. Im Lager Pithiviers südlich von Paris wurde Michel als Nummer 10/126 registriert. Von dort wurde er im August zur weiteren Deportation ins Sammellager Drancy gebracht.
Am 24. August 1942 befand sich Michel im Transport 23 Zug 901-18 (Informationen von Yad Vashem) von Drancy nach Auschwitz. Der Zug fuhr um 08.55 Uhr ab mit rund 1000 Jüdinnen und Juden an Bord. Darunter waren 553 jüdische Kinder im Alter zwischen 1 und 14 Jahren, deren Eltern grösstenteils schon in den Wochen zuvor deportiert worden waren.
Im gleichen Zug waren auch Menschen, die in die Schweiz geflüchtet und von dort wieder ausgeschafft worden waren («Flight to safety that ended in Auschwitz and death for refugees turned back», the Guardian, 11.12.99, «Die Grenzschliessung von 1942» in: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Bern 1999, S. 144f).
Zwei Tage nach der Abfahrt in Drancy, am 26. August 1942, kam der Zug in Auschwitz an. 908 Personen dieses Transports wurden kurz nach der Ankunft vergast, zuerst die Frauen und Kinder. 92 Männer wurden als Häftlinge ins Lager aufgenommen, nur drei von ihnen waren 1945 noch am Leben.
Michel starb in der Gaskammer. Er wurde sechs Jahre alt.
Unvorstellbar grausam. Wir möchten von all dem keine Bilder sehen, keine solchen Informationen lesen. Aber es ist wichtig, dass wir es tun. Wegschauen hatte entscheidenden Anteil daran, dass es überhaupt zu einem solchen Verbrechen kommen konnte.
Hasserfüllte Ideologien und Verschwörungstheorien breiten sich heute gerade über soziale Medien schneller aus als jedes neue oder altbekannte Virus. Und sie sind tödlicher. Zum Glück gibt es Menschen und Institutionen, die auf allen Kanälen dagegen halten.
Denn egal gegen wen sich Hass und Gewalt richten: Wegschauen ist keine Option.
Dieser Bericht ist schwer zu ertragen und doch muss er ertragen werden, damit doch gehofft werden kann, dass so etwas mie mehr geschieht. Vielen Dank für den genauen und referenzierten Bericht.