
Seit zwei Wochen hat Kolumbien den ersten linken Präsidenten seiner Geschichte. Nach einem polarisierten, gehässig geführten Wahlkampf setzten sich Gustavo Petro und Francia Márquez, beides Persönlichkeiten mit turbulentem Lebenslauf, im zweiten Wahlgang gegen Rodolfo Hernández durch. Petros Wahlprogramm fokussierte auf Frieden, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung, Kampf gegen Korruption und Umweltschutz. Als Ex-Guerillero sehen viele in ihm eine gefährliche Mischung aus Teufel und Marx und die Zukunft Kolumbiens wie die traurige Gegenwart Venezuelas.
Bei der Machtübergabe am 7. August durch Iván Duque – der zum Schluss vor allem durch die Vergabe von Posten und lukrativen Verträgen an seine Freunde aufgefallen war – kam es zum ersten symbolischen Akt. Petro unterbrach seine Amtseinsetzung, damit das Schwert des Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar geholt werden konnte, was Duque im Vorfeld hatte verhindern wollen. Dies war nur der erste Streich: Petro mag grosse Gesten. Er liess seither auch das abgesperrte Regierungsviertel fürs Publikum öffnen und der Regierungssitz «Casa de Nariño» kann nun auf Führungen besichtigt werden.
In den letzten Wochen hat Petro Schlag auf Schlag weitere Weichen gestellt: Die Friedensverhandlungen mit der Guerillaorganisation ELN sind in Kuba aufgenommen worden. Eine soziale Steuerreform wird diskutiert, die hohe Einkommen stärker zur Kasse bittet und Schlupflöcher zu schliessen versucht. Die Löhne des Parlaments sollen sinken, nachdem sie Duque eben erst noch erhöht hatte. Petro will die Polizei entmilitarisieren und das Militär als Friedensstifter einsetzen. Als Oberbefehlshaber über die Streitkräfte ernannte er neue Führungspersönlichkeiten. 30 Generäle aus Polizei und Militär nahmen daraufhin aus Protest den Hut.
Aus Kommunikationssicht waren die ersten zwei Wochen grosses Kino. Starke Bilder bringen den Menschen das neue Präsidentenduo nahe: Petro unter Indigenen im Amazonasgebiet, Petro im immer noch orkangeschädigten Providencia, Petro unter Soldaten, Petro unter Wirtschaftsführern. Marquéz, neue Ministerin für Gleichstellung, singend an einem Musikfestival in Cali und mitten in einem Quartier feiernd unter jubelnden Menschen – kein Grund für grosse öffentliche Diskussionen. Ein schöner Versprecher des neuen Präsidenten („sexo“ statt „acceso“, „Sex“ anstatt „Zugang“, als er von mehr Chancen für Jugendliche sprach) hat ausserdem für viel Gelächter gesorgt. Gut gelaunt hat Petro aus dem Versprecher gleich ein Versprechen gemacht und wurde dafür von den Jungen gefeiert.
Die Opposition scheint noch unter Schock zu stehen, aber grössere, politische Angriffe auf Petro und Márquez werden nicht lange auf sich warten lassen. Die Landreform, die Energiewende, die Gesundheitsreform, die Bildungsreform, eine neue Drogenpolitik, revidiertes Arbeitsrecht etc. – Petro hat sich sehr viel vorgenommen und wird mit grossem Widerstand rechnen müssen.
Seine treusten Wählerinnen und Wähler sind die kleinen Leute, die Niemande, die Armen, die Jungen, Indigene, die vernachlässigten Randregionen mit mehrheitlich schwarzer Bevölkerung. Sie haben seine Wahl mit Tanz und Freudentränen gefeiert, während viele andere aus Furcht vor der Zukunft sogar die Koffer packten. Petro und Márquez dürfen die einen nicht enttäuschen und die anderen nicht verlieren. Sie haben eine unmögliche Aufgabe und vier Jahre Zeit.
Die angekündete Reise in vielversprechende Veränderungen hört sich gut an, hoffentlich geht sie auch gut, leicht wird sie bestimmt nicht sein.