
Der Lockdown dauert an, die Corona-Fallzahlen steigen so schnell wie noch nie. Das ist schlecht und ja, man sollte, wenn man kann, daheimbleiben. Das lautsprechert die Polizei sogar aus Hubschraubern über das Geknatter der Rotoren hinweg.
Aber selbst brave Schweizerinnen, die Gesetzestreue mit der Muttermilch aufgesogen haben, werden irgendwann rebellisch und suchen im Kleinen das Weite, wenn die innere Enge zu gross wird.
Da kann es leicht geschehen, dass sich die Füsse auf dem Weg zum Supermarkt neue Wege suchen. Manizales ist für eine kleine Flucht wie geschaffen. Die Stadt ist topographisch so in die Bergwelt gebaut, dass zwischen dem Auf und Ab der Strassen und Gebäude Schluchten geblieben sind, wo die Natur herrscht. Keine beschnittene, frisierte Parknatur, sondern die tropisch wuchernde, häuserfressende Natur der Anden.
Plötzlich verdecken Bäume mit riesigen Blättern den Himmel und es wird schattig und kühl. Es soll hier Äffchen geben, haben wir gehört, aber sie sind nachts unterwegs. Es raschelt, zwitschert und schwirrt im Dickicht. Etwas Blaues leuchtet durch das Grün und ein jagender Barranquero, der herrliche Andenmotmot, fliegt auf, mit einer grossen Grille im Schnabel.
Ein Bauer hat ein Stück weiter dem Urwald Land abgetrotzt. Zwischen Zuckerrohr und Mais führt ein Trampelpfad steil den Hang hinab bis zum Bauernhöfchen, nur wenige hundert Meter von der eigenen Wohnung und vom Stadtzentrum entfernt. In seinem Gewächshaus wachsen wunderbare Pflanzen, Kakteen und Sukkulenten. Wo man die erwerben könne? Weiter unten, im Laden bei der Tankstelle.
Der Naturpfad wird breiter und ebener, plötzlich kommt eine Strasse, eine der engen, gewundenen Ausfallachsen aus der Stadt. An ihren Rändern kleben bescheidene Behausungen, die Wäsche hängt zum Trocken über dem Zaun. Mitten auf der Strasse sitzen Enten und Hühner. Das Stadtgeflügel lässt sich vom Verkehr nicht beeindrucken. Der hat auszuweichen, so sind die Regeln hier.
Die Stadtsafari endet im Pflanzenladen, der gleichzeitig ein Café ist und wenn nicht Pandemie wäre, gäbe es Würste. Weil auch Strasse und Laden am Hang liegen, öffnet sich aus dem hinteren Fenster der Blick auf ein nächstes Stück Wildnis. Mit dem nachtschwarzen Kaffee in der Hand blicken wir hinein und nacheinander, wie abgesprochen, kommen ein Wegebussard, zwei weitere Barranqueros, ein Eichhörnchen, ein Kuckuck und eine Art Fasan vorbei. Nicht umsonst befinden wir uns in einer der artenreichsten Gegenden der Welt, einem Mekka der Ornithologen.
Wir gehen nicht ohne Pflanzen heim, schleppen sie schwitzend den Berg hoch. Der Supermarkt ist in der Zwischenzeit zu, aber eine gelungene Flucht ist doch allemal besser als Joghurt im Kühlschrank, auch aus Pandemiesicht. Denn zumindest im Kopf waren wir von allem weit weg.
Ein schöner Bericht von der reichen Natur in Kolumbien und auch von der Luft der Freiheit im Corona Gefängnis.