Kolumbien protestiert

Am 21. November 2019 begannen im ganzen Land die Märsche. Wenn immer möglich dabei ist auch Paula, 31, Dozentin an einer Universität in Manizales.

Vom Küchenschrank auf die Strasse: Bei den aktuellen Märschen und Streiks werden Küchengeräte zu Werkzeugen des Protests (Bild: M. Schäfer, Textrakt)
Vom Küchenschrank auf die Strasse: Bei den aktuellen Märschen und Streiks werden Küchengeräte zu Werkzeugen des Protests (Bild: M. Schäfer)

Paula, was hat es mit dem zerbeulten Küchengerät auf sich?

Das sind meine Chocolatera und mein Molinillo (Anmerkung: Chocolatera und Molinillo werden in Kolumbien für die Zubereitung heisser Schokolade verwendet, die traditionell zur Arepa getrunken wird). Sie eignen sich nicht mehr für den Einsatz in der Küche. Aber an den nächsten Protesten werde ich sie wieder brauchen.

Woran haben sich die Proteste entzündet?

Es sind ganz verschiedene Themen, die die Menschen auf die Strasse treiben. Rentenkürzungen, Lohnkürzungen bei den Studienabgängern, steigende Abgaben, die Untätigkeit der Regierung bei der Umsetzung der Friedensverträge mit der FARC-Guerilla, die Ermordung sozialer Anführer, die extreme Ungleichheit zwischen Arm und Reich, Gewalt gegen Frauen und Kinder, das schlechte Bildungs- und Gesundheitswesen, Umweltschutz… Die Liste ist lang.

Was ist an der aktuellen Protestbewegung neu?

Neu ist, dass sich so viele Sektoren zusammenschliessen. Lehrerschaft, Studierende, die indigene Bevölkerung, Umweltaktivisten, Bauern, Taxifahrer, Gewerkschafter, Künstler und so weiter. Seit über dreissig Jahren gab es keine so umfassende Bewegung mehr in Kolumbien. Der Unmut über die aktuelle Regierung unter Ivan Duque und die Situation im Land ist gross. Ich finde es grossartig, dass so viele Menschen das nicht mehr schweigend hinnehmen und gemeinsam protestieren.

Wie laufen diese Proteste in Manizales ab?

Zuerst gab es Streiks, Märsche und Versammlungen auf den grossen Plätzen, wo die Leute ihrem Ärger Luft gemacht haben. Danach, ab dem 24. November, kamen die «Cacerolazos» dazu, wo die Leute auf Pfannen, Pfannendeckel und Chocolateras schlugen. Nicht nur im Zentrum, auch in den Quartieren, den armen wie den wohlhabenden. Die Leute standen an den Fenstern und machten Lärm. Cacerolazos (Anmerkung: «cazerola» heisst «Pfanne») gab es bereits in anderen Ländern Lateinamerikas, nicht aber in Kolumbien. Das ist ebenfalls ein neues Element.

Gibt es gewalttätige Auseinandersetzungen?

Die allermeisten Aktionen verlaufen friedlich. Es herrscht eine gute Stimmung. Die Organisatoren setzen alles daran, damit die Proteste kontrolliert verlaufen, weisen Randalierer zurecht und arbeiten, wenn möglich, mit der Polizei zusammen. Der Tod des jungen Demonstranten Dilan Cruz in Bogotá, der durch die Petarde eines Polizisten der Esmad (Anmerkung: Spezialeinheit der Polizei zur Bekämpfung von Aufständen) getötet wurde, hat die Proteste aber angeheizt.

Was ist die Reaktion der Regierung?

Die Regierung weist die Verantwortung für den Tod von Dilan von sich. Generell hat sie sich bisher eher apathisch verhalten. Sie signalisiert Gesprächsbereitschaft, bewegt hat sich allerdings noch nichts. Die Regierung versucht im Gegenteil ein schlechtes Licht auf die Protestbewegung zu werfen, sie mit Negativschlagzeilen über gewaltsame Szenen, Sachbeschädigungen, Plünderungen und vom Ausland gesteuerte, kommunistische Unterwanderung zu diskreditieren. Auch den venezolanischen Flüchtlingen wird Verantwortung zugeschoben. Das hat die Bewegung bisher aber nicht geschwächt. Wir sind diese Art von Diskreditierung von Protesten durch die Regierung gewohnt. Sie hat in Kolumbien eine lange Tradition.

Wie wird mobilisiert?

Die Sozialen Medien spielen eine grosse Rolle. Über sie werden die Informationen geteilt. Mit den Handys werden Fotos und Videos gemacht und verbreitet, auf denen man sieht, was wo passiert. Damit entsteht ein Gegengewicht gegenüber den Medien, die meist einseitig und eher negativ berichten, und den gezielt gestreuten Falschinformationen.

Gehen die Proteste weiter?

Ja. Zurzeit schliessen sich weitere Interessengruppen den Protesten an. Die Forderungen der Protestierenden werden gesammelt und der Regierung übergeben. Es sind weitere Märsche und Aktionen geplant. Am 8. Dezember findet in Bogotá ein grosses, öffentliches Konzert von Künstlerinnen und Künstlern statt, die sich am Protest beteiligen und gratis auftreten. Es wird auch einen Marsch der indigenen Bevölkerung nach Bogotá geben. Wir werden sehen, wie es danach weitergeht.

Video: Die Proteste am 4. Dezember, einem weiteren nationalen Streiktag, in Manizales auf YouTube

 

2 thoughts

  1. Vielen Dank für den schönen, ausgeglichen Bericht. Wie das in Kolumbien weitergehen soll, ist schwer zu beurteilen. Hoffentlich ohne Gewalt und mit Menschlichkeit und Änderungen in der Politik.

    1. Liebe Martina, leider sind die von dir so härzig beschriebenen Demonstrationen mittlerweile zu einem destruktiven Anlass verkommen. Die regelmässige Wiederholung der Gewalttäter ist für die Anwohner der betroffenen Quartiere unannehmbar. Bitte untersuche mal wer in die verlassenen Häuser anschließend einzieht und aktualisiere, por favor, deine Kommentare.
      Saludos cordiales

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